Samstag, 16. April 2016

Mein Zeitproblem // Mindflow


In diesem Beitrag geht es um Züge, die Leichtigkeit des Seins und das Internet.



Es ist zwar alles andere als ein neues Phänomen, aber da ich noch immer keine richtige Umgangsform(el) dafür gefunden habe, spreche bzw. schreibe ich es hier dennoch an: das Zeitproblem.
Dieser Prozess der allgemeinen Weltalterung, dem wir den Namen Zeit gegeben haben, der immer im objektiv betrachtet gleichen Flow steckt, sich aber dadurch, dass wir alle kollektiv alles beschleunigen, anfühlt, als würde "die Zeit immer schneller vergehen", ängstigt mich.

Ich war neulich Blumen pflücken. Das war schön. Das war entschleunigend, aber auch irritierend und ein bisschen beschämend, weil ich keine Ahnung habe von Blumen und noch nicht einmal gewusst hatte vorher, dass man die Stiele mit einem Messer abschneiden muss, ich hatte mir das anders vorgestellt, einfach aus der Erde rausziehen, irgendwie so in die Richtung. Blumen sind beruhigende Gäste in der Wohnung, sie sind ruhig, schön und friedlich, jeder sollte Blumen in der Wohnung haben, finde ich. Ich weiss nicht, ob es in Deutschland auch Blumenwiesen gibt, oder auch Natur im Allgemeinen, die nicht zu 90% geraucht wird, aber hier in der zauberhaften Schweiz gibt es solche Blumenwiesen, wo man gegen Geld - wer hätte das gedacht - Blumen pflücken bzw. aus der Erde rausmetzgern darf.

Ich schätze, die meisten Leute würden 2016 den Gedanken vorziehen, aus Nachbars Garten ein paar Tulpen zu stibitzen als den Aufwand zu betreiben, eine Blumenwiese ausfindig zu machen und da dann auch hinzugehen. Einfach weil Zeit sich ja zu so einer merkwürdigen Instanz entwickelt hat und man sich schuldig fühlt, wenn man beispielsweise eine Stunde lang nur eine einzige Sache macht und nicht an fünfzig Baustellen gleichzeitig herumsurft und die eigene Identität über ein undurchsichtiges Netzwerk aufrecht zu erhalten sucht.
Und wer ist schuld daran? Einzig und allein diese ganzen absonderlichen Erfindungen, die das Leben ursprünglich mal hätten einfacher machen sollen. Mittlerweile liegen aber die allgemeinen Nerven der Menschheit blank und von Übersichtlichkeit kann keine Rede sein.

Klar gab es auch sinnvolles Zeug: die Erfindung der Eisenbahn zum Beispiel.
Das war schon schlau, die zu entwickeln in Anbetracht der Tatsache, dass man vorher wochenlang mit der Pferdekutsche durchs Land gondeln musste, um Freunde zu besuchen. Ein Telefon ins Leben zu rufen, nachdem die Brieftaube schon zum 10. Mal wieder falsch abgebogen oder der Bote vom Blitz getroffen worden war, mag ebenfalls eine Optimierung gewesen sein, klar, sieht man ein. Ja meinetwegen auch das Faxgerät als Nachfolger des traditionellen Briefwechsels! Warum denn nicht, Briefe sind zwar schön, aber immerhin ist ein Fax ja auch aus Papier und kostet keine Briefmarken und hat was von Filmen in denen Bürosituationen in den 50ern vorkommen!
Aber HALLO - irgendwann ist das mit dem Beschleunigungswahn echt ausgeartet. Wirklich, manche dieser sogenannten Erfindungen, die so zahlreich nach Eisenbahn & Co. in die Welt gestreut wurden, sind schlichtweg nichts als übers Ziel hinausgeschossen und völlig überflüssig sowie hochgradig schlecht für den Blutdruck.


Klassiker-Beispiel SMS: eben noch hier in der Schweiz verfasst, vier Sekunden später bereits drüben in Australien. Hirnverbrannt, hirnverbrannt! Warum muss ich denn jetzt meinem Kumpel in Sydney innerhalb von vier Sekunden mitteilen können, was ich gerade esse? In Australien ist ohnehin nicht dann Essenszeit, wenn hier Essenszeit ist, was also soll der Quatsch? Er surft gerade auf dem Wakeboard dem Sonnenuntergang entgegen und ich verspeise ein selbstgebasteltes Avocadosandwich - wo ist da der gemeinsame Nenner, der einen prompten Austausch zu einer behaglichen Sache machte? Eben.
Aber genau genommen ist schon Australien ein weiteres Riesenproblem für sich. Denn wie gelangt man in der Regel da hin? Mit dem Flugzeug. Und Flugzeuge sind ebenfalls absolut überflüssig, weil es ja schon die Züge gibt, und ausserdem sind da ja auch noch die guten alten Schiffe, und gegen die kann nun wirklich keiner etwas sagen, weil schon 1000 v. Chr. mit Holzbarken über Wasser gegangen wurde, und Zug + Schiff = Flugzeugersatz, das ist Verkehrsmittelmathematik. Noch ein Flugzeug obendrauf zu hauen, nachdem schon alles da war, was homo sapiens brauchte, das war einfach wieder nur so ein Menschheitsfurz, Hauptsache nochmal allen zeigen, was man kann, obwohl alles ok war, einfach total daneben.



Die Liste solcher 'Glanzideen' ist endlos lange, da weiss ich echt gar nicht, wo weitermachen. Internet - was für ein Humbug! Wer zur Hölle denkt sich sowas aus? Also es kann doch wirklich als nichts anderes als der absolute Gipfel der Geschmacklosig- und Gedankenlosigkeit bezeichnet werden, nach tausenden von Jahren glücklichen Lebens in der realen Welt eine virtuelle Base zu kreieren, in der mit nichts anderem als Nullen und Einsen herumjongliert wird, und sich dafür dann als Erfinder auch noch stolz auf die Schulter zu klopfen! Ich meine, Tim Berners-Lee hat das damals bestimmt nicht böse gemeint, als er das World Wide Web begründete, der hatte ja nicht wissen können, wie das ausarten würde, aber es war halt einfach eine Schnapsidee gewesen, was er hätte einsehen müssen und später, als klar war, wie nervig das Internet ist, wieder hätte versuchen müssen rückgängig zu machen. Das wäre ein feiner und intelligenter Schachzug gewesen. Stattdessen steht er heute als Professor in irgendeiner Ami-Uni rum und doziert allen Ernstes über das - man höre und staune - Internet. Obwohl doch jeder Bauer inzwischen weiss: Internet = böse.

Ich habe noch nie jemanden sagen hören: "Nach zwei Stunden Facebook fühle ich mich so fresh und geil", hingegen berichten Menschen, die auf der Blumenwiese waren, hinterher oft mit glänzenden Augen, wie gut ihnen diese anspruchslose naturverbundene Aktion getan hätte.
Auch der Aspekt des Vernetztseins: wer will das denn schon? Genau, keiner. Niemand möchte mit hunderten von Seelen auf der Erde in touch stehen, sorry, so kontemplativ und aufnahmefähig sind wir einfach nicht! Wir wollen einen Partner, der uns liebt und ab und zu ein leckeres Essen für uns kocht, vielleicht wollen wir Kinder, ein Aquarium, Treuepunkte und solche Sachen, also warum hören wir nicht einfach auf zu chatten, setzen uns an den Tisch und benehmen uns wie die glückliche Kleinfamilie, die wir im Grunde unseres Herzens sein wollen?
Wir dürften uns das eigentlich nicht gefallen lassen: da haben es einfach nur vor ca. 30 Jahren ein paar ehrgeizige Nerds übertrieben mit dem Einfallsreichtum und nun müssen wir Normalos, die eigentlich lieber weiter Briefe geschrieben hätten, das auf ewig ausbaden. Wahre Alltagshelden hätten längst ihren Anschluss zertrümmert.

Aber es ist natürlich nicht nur das Internet, wie gesagt, Liste: endlos. Mikrowelle! Wozu! Wozu Pfannen! Warum nicht einfach mal wieder ein schönes Feuerchen machen auf dem Balkon! Autos können weg, siehe Züge und Schiffe, und Segway & Co. braucht ebenfalls kein Mensch. Man könnte sich auch einfach mal wieder die Rollschuhe anschnallen oder, noch einfacher: gehen, so wie Gott es für uns vorgesehen hat, mit unsern eigenen Füssen, barfuss. Wer hat eigentlich Schuhe erfunden, hm? Gewiss wieder so ein geldversessener Pseudo-Orthopäde, der genau gewusst hat, wie schädlich dieses künstliche Schuhwerkzeug für unsere sensiblen Tretmaschinen ist. Horrend. 
Man muss sich von dem ganzen belastenden Kram, der als "modern und hilfreich" getarnt daherkommt, trennen! Weg damit! Auf die Blumenwiese gehen und sich eingestehen, dass man Angst hat vor dem Älterwerden und die einzige Möglichkeit, sich nicht zu fühlen wie alternd gefangen zu sein in einem lebenslänglichen Zeitraffer, darin besteht, sich langsamen Dingen zuzuwenden, bei denen so grundlegende Bedingungen fürs Glücklichsein wie zB. das Behalten eines Überblicks, gegeben sind. Wir werden nicht alt, wir machen uns alt. Schnelligkeit erzeugt Stress. Ich breche an dieser Stelle jetzt einfach ab, weil mir kein guter Schluss einfällt.




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Dies ist der Blog von Laura Wohnlich. Sie schreibt, macht aber auch andere Dinge. Auf diesem Blog geht es um Kunst, Literatur, Poesie, Politik und ganz gerne auch mal einfach nur darum, die Seele baumeln zu lassen. Auf diesem Blog geht es darum, "den Helden in sich zum Vorschein zu bringen". Man kann noch lange darauf warten, dass Hero auf irgendwas angeritten kommt und einem das Leben zurechtrückt. Sei dein eigener Held und reiss dem Deppen der glaubt, er wisse es besser als du, die Zügel aus der Hand!