Freitag, 23. September 2016

Eine Sturzgeschichte

In diesem Beitrag geht es um Terrorismus, Tinder und die ewige Wiederkehr der Dinge.



Araban Akbar entschloss sich mit 23 Jahren zum Terrorismus, sprengte eine regionale Bank mit fünfzehn Menschen, inklusive sich selber, in die Luft und trat im Jenseits 72 Jungfrauen gegenüber. Albrecht Huber kaufte sich bei OBI zwanzig verschiedene Sorten Pflanzen und drei Säcke Bioerde und schaffte es nicht, seinen Garten so schön aussehen zu lassen wie der seines Nachbarn. Henriette Rinderknecht spielte zum sechsten Mal in ihrem Leben Lotto und gewann  zum sechsten Mal nichts, worauf sie sich zu einem Fitnesscenter-Abo entschied, von dem sie nur einmal - am gleichen Tag - Gebrauch machte. 

Bevor dies alles geschah, begegneten sich Araban, Albrecht und Henriette eines Tages an einer Busstation, deren Standort unwichtig ist. Zufällig standen sie alle drei zur selben Zeit an derselben Station und beabsichtigten mehr oder weniger zeitgleich, vom Ticketautomaten Gebrauch zu machen. Die beiden Herren einigten sich nach einem kurzen Blickwechsel offenbar stillschweigend darauf, dass sie beide Gentlemen waren, und liessen Henriette zuerst lösen.
Dies hatte zur Folge, dass Araban und Albrecht schwarz fuhren, denn was sie nicht wissen konnten, war, dass Henriette Ausländerin war und noch nie einen Ticketautomaten wie diesen hier bedient hatte und daher folglich sehr lange brauchte, bis sie ihren Schein in der Hand hielt.

Um es nochmal zu betonen: der Bus fuhr vor und alle drei stiegen ein, aber nur Henriette besass ein Ticket.
Und  natürlich kam es, wie es kommen musste: nach zwei Stationen schon stieg Jérome Sinclair ein, der von Berlin eines Tages hierhergezogen war, obwohl er lieber nach Montmartre zurückgekehrt wäre. Egal, jedenfalls hatte er sich in Deutschland zum Ticketkontrolleur umschulen lassen (falls es dafür überhaupt eine Umschulung gibt. Egal). Sinclair jedenfalls betrachtete die beiden Herren, die sich zufällig nebeneinander gesetzt hatten, mit einer Feindseligkeit, die man der Fairness halber als berufsbedingt bezeichnen sollte.

"Ticket?", wollte er von ihnen wissen. 
Araban und Albrecht blickten sich ratlos an. Araban dachte nicht an Jungfrauen, Albrecht dachte nicht an seine schlecht gedeihenden Pflanzen. Beide dachten nur: Mist, ich bin am Arsch, ich habe kein Ticket. Beide blickten zu Henriette, die seelenruhig in einem Buch blätterte, dessen Sprache die beiden Männer nicht kannten, und sich im übrigen mit dem Rücken zum Geschehen hingesetzt hatte, zufällig.


"Kein Ticket?", wollte der Busfahrer wissen. Araban schüttelte den Kopf. Albrecht hob vage die Schultern gen Ohren. 
"Also kein Ticket." Sinclair zückte ein elektronisches Gerät und begann darauf herumzustochern mit etwas, das man wohl irgendwie Pen nennen darf. Kurze Zeit später standen Araban und Albrecht mit identischen Busszetteln auf der Strasse und beschlossen im Stillen und jeder für sich, dass sie nie wieder Gentlemen spielen würden, schon gar nicht für ausländische Frauen, die ihnen keine Dankbarkeit zollten.

"Na dann", sagte Albrecht aus einem nicht wirklich klar identifizierbaren Impuls heraus zu Araban und klopfte ihm zusätzlich verabschiedend auf die Schulter. Araban wandte sich ab.



3 Jahre später stellte Araban fest, dass die Jungfrauen im Jenseits sich mehr dafür interessierten, die unter den Wolken liegenden Stromnetze anzuzapfen, um sich auf Tinder mit ihrer Jungfräulichkeit zu brüsten und nach reichen Amerikanern Ausschau zu halten als dafür, mit ihm ins Bett zu gehen. 
Albrecht sass daheim auf seinem Balkon, trank Limonade aus einer Kaffeetasse und spuckte eine Ladung Schleim auf einen Haufen Bioerde, der ihm eigentlich hätte zu Ansehen verhelfen sollen. Beide fühlten sich wie Versager. Und Henriette? Wer weiss. Vielleicht verliebte sie sich in den Busfahrer, aber das ist eher unwahrscheinlich, Henriette hasste Franzosen.

"Wer hinfällt, muss wieder aufstehen", las Albrecht in einem austauschbaren Buch. Wer steht, fällt um, dachte Albrecht. Araban las "Und dein Herr, Er ist wahrlich der Allmächtige, der Barmherzige" und fragte sich, für wen er gestorben war. 
Henriettes Schwester, deretwegen Henriette damals unter anderem das Fitnesscenter-Abo gelöst hatte, las in einem Magazin mit pinker Schrift, dass es sie nur fünf Schritte koste, um zum idealen Sommerpo zu gelangen, und wünschte sich drei Sekunden lang den schnellen, schmerzlosen Tod.
Es wurde Winter und anschliessend Frühling. 

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Dies ist der Blog von Laura Wohnlich. Sie schreibt, macht aber auch andere Dinge. Auf diesem Blog geht es um Kunst, Literatur, Poesie, Politik und ganz gerne auch mal einfach nur darum, die Seele baumeln zu lassen. Auf diesem Blog geht es darum, "den Helden in sich zum Vorschein zu bringen". Man kann noch lange darauf warten, dass Hero auf irgendwas angeritten kommt und einem das Leben zurechtrückt. Sei dein eigener Held und reiss dem Deppen der glaubt, er wisse es besser als du, die Zügel aus der Hand!